„STRALSUND – Eine kühle nordische Schönheit“
Interview mit Autor Eugen Ruge vor seiner Lesung am 30. Juni in Stralsund
Der namhafte deutsche Schriftsteller Eugen Ruge gastiert am 30. Juni um 19:00 Uhr im Löwenschen Saal des Rathauses erstmals in Stralsund, was fast ein Skandal ist. Aber nur fast. Warum, das lesen Sie im folgenden Interview mit ihm.
Sein neuester Roman führt die Leserschaft in das antike Pompeji des Jahres 79 n. Chr., kurz vor dem verheerenden Vulkanausbruch. Der Protagonist ist ein junger Tagedieb, der von Anzeichen für eine bevorstehende Naturkatastrophe erfährt und diese zum Thema seiner aufkeimenden politischen Karriere macht. Im Laufe der Handlung schlägt besagte Karriere einige Haken, was nicht nur unterhaltsam ist, sondern auch erstaunliche Parallelen zu heutigen Verhältnissen aufweist.
Auf Einladung der Stadtbibliothek Stralsund und der Strandläufer-Verlagsbuchhandlung stellt er im Löwenschen Saal seinen neuesten Roman „Pompeji oder die fünf Reden des Jowna“ vor. Was ihn mit der Hansestadt und der Region verbindet, erläuterte er in einem kurzen Interview mit Katrin Hoffmann (Strandläufer Verlagsbuchhandlung):
1. Lieber Herr Ruge, Sie wohnen eine Hälfte des Jahres in Berlin und eine Hälfte auf Rügen. Wie hat es Sie auf die Insel verschlagen? Haben Sie dort Wurzeln?
Der Name Ruge deutet ja schon darauf hin, und ich habe es auch in meinem Roman "Follower" beschrieben: Der erste Vorfahr, den unsere Familienforschung ausfindig machen konnte, war ein gewisser Claus Ruge, wahrscheinlich Leibeigener, der 1628 von Rügen nach Stralsund floh. Vier Generationen später ging ein gewisser Christian Arnold Ruge zurück auf die Insel. Das ist mein Urururgroßvater. Er wird zunächst Verwalter der pommerschen Güter des schwedischen Grafen Brahe, so auch des Schlosses Spyker. Später pachtet er das Gut Bisdamitz. Sein Sohn Ludwig bringt es in Berlin als Arzt zum Professor und Medizinalrat. Aber auch er kehrt nach Rügen zurück, indem er sich in der Nähe von Bisdamitz, direkt an der Tromper Wiek, ein Haus erbaut. Daraus entsteht die kleine Ortschaft Rugeshus, die inzwischen Nardevitz eingemeindet ist. Kurz: Ja, ich habe Wurzeln auf Rügen.
2. Soviel wir wissen, ist Ihre Lesung am 30. Juni in Stralsund die erste mit dem neuen Roman in ganz Norddeutschland. Haben Sie schon einmal in der Hansestadt gastiert? Was verbinden Sie mit Stralsund?
Claus Ruge war Kirchendiener an der Nikolaikirche Stralsund. Sein Sohn Matthäus ebenfalls. Dessen Nachfahren haben in Stralsund gelebt, bis Christian Arnold zurück nach Rügen ging. Mein Ururgroßvater Ludwig, der Medizinalrat, ging immerhin noch in Stralsund ans Gymnasium. Auch darüber schreibe ich im "Follower". Aber Stralsund ist eben auch das Tor zur Insel, ich bin hunderte Mal dort gewesen. Die Stadt ist einfach auch schön, eine kühle nordische Schönheit. Sie duftet nach Meer. Als Segler kenne ich Stralsund auch von der Wasserseite. Trotzdem habe ich noch nie hier gelesen, eigentlich ein Skandal.
3. In „Pompeji oder die fünf Reden des Jowna“ entführen Sie Ihre Leser in die Antike. Warum? Stralsund, zum Beispiel, hat auch eine interessante Geschichte. Immerhin waren wir die einzige Stadt, die Wallenstein im Dreißigjährigen Krieg nicht erobern konnte…
Genau, deswegen kam Claus Ruge ja nach Stralsund. Er floh vor den Wallensteinschen Truppen. Das hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet, und mir also auch. Ich verdanke Stralsund also mein Leben! Dass ich trotzdem über Pompeji schreibe, ist natürlich undankbar, aber so sind die Schriftsteller: untreu und sensationsgierig. Aber im Ernst: Pompeji hat mich schon immer interessiert, seit meine Oma Charlotte mir davon erzählte. Und seit ich von den Toten hörte, die man dort in ihren Häusern gefunden hat, habe ich mich natürlich gefragt: Warum sind sie nicht weggelaufen? Hatten sie eine Chance? Wenn man das weiterdenkt oder weiterspinnt, könnte man sich auch fragen: Was, wenn sie gewusst oder geahnt hätten, dass sie auf einem Vulkan leben? Die Landschaft ist ja eindeutig vulkanisch, es gibt Bimsstein, Schwefeldämpfe, es gab ein großes Erdbeben, das eine Warnung hätte sein können usw. Wenn man das voraussetzt, dann wird die Frage, warum sind sie nicht weggelaufen noch dringlicher. Damit beschäftige ich mich in meinem Roman: Wie passiert es, dass die Menschen von der Bedrohung wissen, und doch nichts dagegen tun? Angesichts der vielen Bedrohungen, denen wir heute ausgesetzt sind, ist das, finde ich, ein lohnendes Thema.
4. Für „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ wurden Sie 2011 mit dem Deutschen Buchpreis geehrt. Auch „Metropol“ erntete 2019 viel positive Kritik. Wie sind Sie bisher mit der Resonanz auf Ihr neuestes Buch zufrieden?
Eigentlich sehr. Es gab Besprechungen in fast allen großen und in fast allen kleinen Zeitungen. Das Buch stieg in die Bestsellerliste auf. Und abgesehen von zwei oder drei Kritikern, die sich allen Ernstes fragten, wieso da jemand über Pompeji schreibt, wenn er doch die Gegenwart meint, haben das Buch eigentlich alle richtig verstanden. Ich benutze die Vergangenheit als Spiegel, als Modell. Es ist unglaublich lehrreich und unglaublich komisch, sich in den fernen Zeiten wieder zu entdecken. Es ist ein ganz bestimmter Effekt, der sich nur so, über den Umweg einer solchen Verfremdung, herstellen lässt. Aber diese Erfahrung müssen die Leser und Leserinnen selber machen.
Tickets für 14 Euro für die Veranstaltung, die am 30. Juni um 19 Uhr im Löwenschen Saal des Stralsunder Rathauses beginnt, gibt es sowohl in der Stadtbibliothek (Tel. 03831-253 678) als auch in der Strandläufer Verlagsbuchhandlung (Tel. 03831-666 0 555).