Oberbürgermeister empfängt Nachfahren der Stralsunder Kaufmannsfamilie Blach
15 Gäste aus vier Ländern
Der Kollegiensaal im Rathaus war mit den Flaggen der USA und der Niederlande, Großbritanniens und Deutschlands geschmückt, um etwa 15 Nachfahren der jüdischen Kaufmannsfamilie Blach in ihrer alten Heimat zu begrüßen. Auf Einladung von Friederike Fechner, Bürgerschaftsmitglied und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, waren sie nach Stralsund gereist. Und so kam es vom 18. bis 21. August zur Wiedervereinigung einer Familie, deren Mitglieder vor den Recherchen von Friederike Fechner und dem Stralsunder Stadtarchiv teilweise gar nichts voneinander wussten.
In seinem mit Film und Bildern untermalten Grußwort sagte Oberbürgermeister Alexander Badrow: "Aus unserer Geschichte zu lernen, ist uns heute wichtiger denn je. Das gilt auch für ihre dunklen Kapitel. Das wohl dunkelste beschreibt die Zeit der Judenverfolgung im Nationalsozialismus, auch die Ihrer Familie. Wir wollen uns gemeinsam erinnern – an alle Stralsunderinnen und Stralsunder jüdischen Glaubens bzw. per Rassengesetz zu Juden erklärt, die Opfer wurden, die ihr Zuhause verloren und meistens auch ihr Leben. Die Spuren unseres Erinnerns finden sich in den 55 Stolpersteinen, bei der Stele im Johanniskloster, auf dem Jüdischen Friedhof und auch in den steinernen Zeugen, die noch immer die Ossenreyerstraße säumen und bis heute als Wiege der Kaufhauskultur in Deutschland gelten. Ich bin dankbar, dass Sie hier sind. Dass Sie leben. Dass wir uns und Sie einander begegnen. Dass Sie Ihre Geschichte und Geschichten mit uns teilen."
Besonders emotional wurde es, als sich anschließend aus den Reihen der Gäste ein Familienmitglied erhob und auf Englisch sagte: "Mein Großvater hat nach seiner Flucht nie wieder ein Wort Deutsch gesprochen. Er hat mir nur einen einzigen Satz beigebracht: 'Ich liebe Dich'. Und auch ich wollte niemals nach Deutschland reisen. Bis zu dieser Einladung. Dank der fleißigen Spurensuche und Archivarbeit gehören zu meiner Familie statt früher nur drei heute über fünfzig Menschen. Das ist ein unvorstellbares Glück. Und wir sind so froh, diese Reise gemacht zu haben. Ich kann nur sagen: 'Ich liebe Dich, Stralsund'."
Andreas Neumerkel vom Stralsunder Stadtarchiv überraschte die Gäste mit Originalurkunden und Bauplänen aus der Zeit ihrer Vorfahren. Zum Abschluss trugen sich alle Familienmitglieder - das jüngste war mit neun Jahren die kleine Aliza Weishut aus dem niederländischen Haarlem - ins Gästebuch der Stadt ein. Zur Erinnerung überreichte Oberbürgermeister Alexander Badrow jedem Gast u. a. ein "Pfund vom Sund" aus der Tea Boutique in der Heilgeiststraße - jenem barocken Haus, in dem Anfang des letzten Jahrhunderts der Lederwarenhandel der jüdischen Brüder Blach blühte.
Apropos Geschenke: Gaby Glassman-Simons überbrachte dem Hansa-Gymnasium eine Zeitung von 1929, die die Schülerinnen des damaligen Lyzeums zum Abschied für ihre Freundin und einzige jüdische Mitschülerin der höheren Mädchenschule machten. Dieses Mädchen hieß Rosemarie Simons-Joseph und war die Mutter von Gaby. Mit dieser Zeitung werden sich die Hansa-Gymnasiasten im Rahmen ihres Geschichtsunterrichts eingehend beschäftigen.