Vier Stolpersteine in Stralsund verlegt
Gemeinsame PRESSEMITTEILUNG der Hansestadt Stralsund und der „Initiative zur Erinnerung an jüdisches Leben in Stralsund“
Stolpersteine - sie werden in der gesamten Bundesrepublik verlegt, um an Menschen zu erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert oder vertrieben wurden.
Stralsund gehört zu den Kommunen, die auf diese Weise an die Schicksale von Stralsunder Bewohnerinnen und Bewohnern erinnern. Seit 2006 wurden in der Hansestadt Stralsund 55 Stolpersteine und -schwellen verlegt, am 04. Juni kamen weitere dazu.
Die „Initiative zur Erinnerung an jüdisches Leben in Stralsund“ und die Hansestadt Stralsund luden dazu im Rahmen des Stralsunder Veranstaltungsprogramms anlässlich "1.700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland" gemeinsam ein.
Vor dem Haus der Carl-von-Essen-Straße 35 wurde mit Stolpersteinen drei Mitgliedern der Familie Dorn gedacht, den Eltern und dem 13jährigen Mädchen Eva, sie wurde 1940 im Alter von zehn Jahren aus der Klasse 4c der Lambert-Steinwich-Schule entfernt. Ihrer gedenken fünf Schülerinnen der heutigen Klasse 4c mit fünf vorgelesenen Briefen, welche die Schülerinnen an Eva Dorn geschrieben haben.
Ebenfalls gedacht wurde des Kapellmeisters Eugen Fenyves aus Budapest, der von 1920 bis 1927 das neugegründete Philharmonische Orchester des Theaters Stralsund leitete. Er wurde am 12. Januar 1945 von den Nationalsozialistischen Pfeilkreuzlern in Budapest umgebracht. Deshalb fand ein gemeinsames Gedenken vor seiner einstigen Wirkungsstätte am Theater statt, gefolgt von der Stolpersteinverlegung vor seiner letzten Wohnstätte in der Ossenreyerstraße 41.
Anlässlich der Verlegung der Stolpersteine für Familie Dorn sagte Oberbürgermeister Alexander Badrow: "Auf dass wir ihre Schicksale nie vergessen. Dass wir darüber stolpern - jeden Tag, bei jedem Spaziergang. Shalom, lieber Edmund, shalom, liebe Herta, und shalom, liebe kleine Eva! Hier, in diesem Haus, war Euer Zuhause. Und hier, in unseren Herzen, wird es für immer sein."
Auf dem Theatervorplatz, der früheren Wirkungsstätte von Eugen Fenyves, hob Peter van Slooten, Geschäftsführer des Theaters Vorpommern hervor, dass der Mensch Eugen Fenyves und die Erinnerung an ihn uns aufgibt, die Würde, das Leben und die Freiheit jedes Menschen - immer und überall - zu wahren und zu verteidigen.
Am letzten Wohnsitz des Kapellmeisters in Stralsund vor dem Haus Ossenreyerstraße 41, erinnerten Friederike Fechner und Jörg Zink von der „Initiative zur Erinnerung an jüdisches Leben in Stralsund“ daran, dass dieser Tag ein ganz besonderer ist. Er gibt weiteren Schicksalen früherer Stralsunder Bewohnerinnen und Bewohner ein Gesicht und erinnert daran, dass die Hansestadt einst eine aktive jüdische Gemeinde hatte. "An sie zu erinnern, das ist unsere Pflicht und Schuldigkeit. Es waren Menschen wie du und ich, die durch ein grausames System vernichtet wurden. Das Einzige, was wir für sie heute tun können, ist - an sie zu erinnern."
Eine Übersicht der bisher verlegten Stolpersteine in Stralsund gibt es hier: Übersicht
Alle bisher verlegten Stolpersteine und -schwellen sind in einer Karte der Hansestadt Stralsund eingetragen: Karte
Faktenrecherche und -zusammenstellung: „Initiative zur Erinnerung an jüdisches Leben in Stralsund“ l Friederike Fechner
Daten für die Familie Dorn
•Dorn, Edmund, geboren am 6.02.1905, wohnhaft in Stralsund, Carl-von-Essen-Str. 35, ermordet November 1943 in Auschwitz
•Dorn, Herta, (Ehefrau), geb. Lesser, geboren am 19.9.1890 in Jenitz, Krs. Posen, wohnhaft Carl-von-Essen-Str. 35, ermordet November 1943 in Auschwitz
•Dorn, Eva, (Tochter) geboren am 15.04.1930 in Stralsund, eingeschult 1936, von der Lambert-Steinwich-Schule Schule verwiesen am 4.03.1940, ermordet November 1943 in Auschwitz.
Edmund Dorn galt 1938 noch als "Mischling" (daher stand er nicht auf der jüdischen Hauptliste von 1938), bis sich herausstellte, dass auch er vier jüdische Großeltern besaß. Da dies erst im Mai 1940 bekannt wurde, waren die Dorns nicht am 12./13. Februar 1940 mit dem Stettiner Transport nach Lublin verschleppt worden. Am 4. März 1940 musste Eva Dorn, Schülerin der Klasse 4c oben genannter Schule, dem Unterricht für immer fernbleiben. Der entsprechende Vermerk: "laut Verfügung der Regierung entlassen, da jüdisch".
Edmund Dorn hatte in der Spirituosenfabrik "Sonne" in Richtenberg als Buchhalter Arbeit gefunden. Er schreibt am 28. Juli 1940: "Eva war letzte Woche 3 Tage in Richtenberg. Dort sind auch 2 Kinder (Verwandte vom Chef) zu Besuch und Eva hat einmal wieder mit Kindern spielen dürfen. Eva und ich "spielen" immer Schule, leider muß ich zu meiner Schande gestehen, daß nicht sehr intensiv gearbeitet wird."
Erinnerung an Eugen Fenyves
„Er ist eine durch und durch musikalische Persönlichkeit, die ganz in der Musik aufgeht, trotzdem aber vorzüglich mit den ihm unterstellten Musikern umzugehen versteht und mit großer Umsicht den Taktstock schwingt. Seiner Tätigkeit war hier ein großer Erfolg beschieden.“ So schreibt der Stralsunder Zweite Bürgermeister Dr. Walter Fredenhagen (1878-1945) am 8. Januar 1931 in das Zeugnis des ersten Kapellmeisters des Stralsunder Theaterorchesters Eugen Fenyves, der von 1919 bis 1927 als einer der ersten Kapellmeister das 1919 gegründete Philharmonische Orchester dirigierte. Zahlreiche Konzert-und Opernplakate im Stadtarchiv zeugen von seinem Engagement und Fleiß, viele archivierte Rezensionen von seiner Popularität.
Eugen Fenyves wurde am 13.08.1889 in Budapest als Sohn von Karl-Joachim Feiner (ungarisiert Fenyves,) und Sarah Feiner, geb. Schnitzer, geboren.
Eugen Fenyves studierte Geige und Komposition an der Budapester Musikakademie, war ab 1913 an der Berliner Oper als Bratschist und von 1919 bis 1927 an das Stralsunder Theater als erster Kapellmeister engagiert. Am 14. April 1920 heiratete er die Stralsunder Theaterschneiderin Helene Pietrula (geb. 28.9.1891), Tochter des aus Posen zugezogenen Eisenbahnzugführers Ignatz Pietrula und seiner Ehefrau Marie Seiffert, wohnhaft in Stralsund, Knieperstraße 7. Bis 1938 wohnte er dort.
Neben seiner Kapellmeistertätigkeit komponierte Eugen Fenyves Orchesterwerke, Lieder und Kammermusik , u.a. die „Ungarische Bauernhochzeit“.
Am 12. Januar 1945 wurde Eugen Fenyves von nationalsozialistischen Pfeilkreuzlern in Budapest ermordet.